Wanderungsbewegungen, Arbeitsmärkte und wirtschaftliche Entwicklung von der Francodiktatur bis zum Übergang zur Demokratie

Wanderungsbewegungen, Arbeitsmärkte und wirtschaftliche Entwicklung von der Francodiktatur bis zum Übergang zur Demokratie

Organisatoren
Joseba de la Torre, Universidad Pública de Navarra; Gloria Sanz-Lafuente, Universidad Pública de Navarra
Ort
Pamplona / Spanien
Land
Spain
Vom - Bis
22.11.2007 - 23.11.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Joseba Lebrancón Nieto, University of Santiago de Compostela

Die von der wirtschaftsgeschichtlichen Abteilung der Fakultät für Wirtschaft an der “Universidad Pública de Navarra” organisierte Tagung “Wanderungsbewegungen, Arbeitsmärkte und wirtschaftliche Entwicklung von der Francodiktatur bis zum Übergang zur Demokratie” fand am 22. und 23. November in Pamplona mit Unterstützung der Universidad Pública de Navarra, der Caja Navarra und des Instituto Gerónimo de Uztàriz statt. Elf Forschungsarbeiten wurden in vier Sektionen vorgestellt.

Die Organisatoren, JOSEBA DE LA TORRE und GLORIA SANZ-LAFUENTE (Universidad Pública de Navarra, Pamplona), eröffneten die Tagung mit einer kritischen Bewertung des Forschungstandes und einem Aufriss der entscheidenden Forschungsfragen. De la Torre und Sanz-Lafuente fragten zum Ersten nach der Fähigkeit wirtschaftlicher Theorien und Modelle, Migrationsprozesse während der Hochkonjunktur der 1960er- und der Krise seit Mitte der 1970er-Jahre erklären zu können. Zweitens wurde nach den Motiven und Konstellationen der Migrationspolitik in Spanien von Francos Diktatur bis zum Übergang zur Demokratie gefragt. Drittens wurde die diskursive Beziehung der in dieser Periode überaus starken Migrationenprozesse in Spanien mit dem zeitgleich stattfindenden wirtschaftlichen Aufschwung angesprochen, der letztlich seit der Krise von 1973, trotz einer anhaltenden hohen Binnenwanderung, zum starken Rückgang der Abwanderung ins Ausland führte. Für diese deutliche Veränderung der Wanderungsbewegung über die Grenzen hinweg machten die Referenten die neue Migrationspolitik in Europa und auch die Konsolidierung des Entwicklungsprozesses und den beginnenden Ausbau des Wohlfahrtsstaates in Spanien verantwortlich.

Der Vortrag von FERNANDO GUIRAO (Universidad Pompeu Fabra, Barcelona) unterstrich den äußerst geringen Einfluss einer Vereinbarung, die im Juni 1970 zwischen der EWG und Spanien abgeschlossen wurde, um die Migrationsströme zu regulieren. Zum einen seien Sozialpolitik und Migrationspolitik unbestreitbar Kompetenzen der einzelnen Mitgliedstaaten gewesen. Zum anderen müsse der Blick auf die wichtigeren bilateralen Abkommen gerichtet werden. Schließlich sei unübersehbar, dass dieses Abkommen der Systempropaganda gedient habe. Das Abkommen wurde dazu genutzt, sich in Europa als wirtschaftlich und sozialpolitisch fortschrittlich darzustellen. LORENZO MECHI (Università di Padova) referierte über die Rolle der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in der europäischen Verwaltung der Migration nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere bei der Förderung technischer Hilfeleistungen und über Qualifikationsprogramme für Migranten im Spannungsfeld divergenter Interessen der Gewerkschaft-und Unternehmerverbände sowie der Regierungen.

Nach MARGARITA VILAR (Universidade da Coruña) war die starke Kontrolle des Arbeitsmarktes durch die Fuero del Trabajo (Arbeitsgesetze) eine der wichtigsten Säulen des wirtschaftlichen und politischen Systems des Franquismus. Ein allgemeines Streikrecht und ein Koalitionsrecht wurden weiterhin versagt, auch versuchte man über die Verbreitung einer entsprechenden Ideologie, die Frauen vom Arbeitsmarkt auszuschließen, allerdings ohne Erfolg. Die Diktatur verfolgte über strenge Gesetze eine Niedriglohnpolitik. Hierbei fällt die Vereinheitlichung des Lohnniveaus auf, das heißt zwischen den Löhnen qualifizierter und unqualifizierter Arbeiter bestanden nur geringe Differenzen. Es wurde versucht, die niedrige Entlohnung durch verschiedene Mechanismen zu kompensieren. Dazu gehörten etwa Preisgelder und Prämien, Geschenke oder Hilfsgelder für Arbeiter in Einzelfällen, dies waren alles Maßnahmen, über welche die Arbeitgeber von Fall zu Fall entscheiden konnten. Das Tarifvertraggesetz von 1958, das als Liberalisierungsprozess wahrgenommen wurde, war wiederum durch die so genannten Normas de obligado cumplimiento (Normen zur Zwangserfüllung) eingeschränkt. Die Normen bedeuteten in der Praxis ein Vetorecht der Diktatur gegen Tarifverträge. Der Beitrag von AXEL KREIENBRINK (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg) widmete sich der wirtschaftlichen Logik der Migrationspolitik des Franquismus. Die Nachfrage nach Arbeitskräften in Europa und der Druck des inneren Arbeitsmarktes hätten zu einer Liberalisierung der Migrationspolitik in Spanien ab 1956 geführt. Das Migrationsverbot der 1940er- und frühen 1950er-Jahre, das aber durch Migrationsnetzwerke in Richtung Südamerika in der Praxis unterlaufen worden war, wurde seit dem Ende der 1950er-Jahre zugunsten eines flexibleren Regimes abgelöst. Politische Rhetorik über die Notwendigkeit, die Arbeitslosigkeit im Inneren zu reduzieren, trat an die Stelle. Gemeinhin verweist die Forschung auf die Deviseneinnahmen durch die Überweisungen der Migranten. Jedoch wies Kreienbrink darauf hin, dass zahlreiche Migranten bald wieder zurückkehrten und nicht wenige vorher gar nicht arbeitslos gewesen waren, wie die Forschungsergebnisse von Carmen Ródenas belegten.

MARÍA JOSÉ FERNÁNDEZ VICENTE (Université Marne-la-Vallé, Paris), CARLOS SANZ DÍAZ (Universidad Complutense de Madrid) und LUIS CALVO SALGADO (Universität Zürich) referierten über die spanische Auswanderung nach Frankreich, in die Bundesrepublik Deutschland und in die Schweiz seit der Mitte der 1950er- bis zu den 1980er-Jahren. Die drei Beiträge unterschieden zwischen einem offiziellen Migrationsprozess – der emigración asistida – und einem anderen, spontanen, außerhalb Prozess der offiziellen Kontrollmaßnahmen, indem man einfach mit einem Touristenvisum auswanderte. Der erste, offizielle Weg war nur für die Branchen geeignet, die ihre Arbeitsbedürfnisse im Voraus planen konnten. Der zweite Weg kam für die anderen Branchen und Migranten mit diversen persönlichen Schwierigkeiten in Frage. Die drei Beiträge beschäftigten sich außerdem mit Veränderungen des Kontrollregimes, der sozialen Zusammensetzungen der Migranten, ihren Zielorten und am Wanderungsort ablaufenden Integrationsprozessen. So ging es um die Bedeutung der Baubranche, die für spanische Auswanderer, die nach Frankreich oder in die Schweiz gelangten, höher war, als für diejenigen, die nach Westdeutschland gingen. Hier spielten vielmehr die fordistischen industriellen Branchen eine größere Rolle. Fernández Vicente und Sanz Díaz beschäftigten sich mit der Mobilität zwischen den Betrieben als Strategie der Migranten und Calvo Salgado bot vergleichende Ansätze in der Verwaltung der Migration in der Schweiz zwischen Spanien und Italien. Er zeigte auf, wie man in Fallstudien über Interviews auf Lebenserfahrungen zurückgreifen kann.

In der zweiten Sektion zu innterregionalen Wanderungsprozessen in Spanien referierte zunächst MARTÍ MARIN CORBERA (Universitat Autónoma de Barcelona) über den Fall der Kleinstadt Sabadell (Barcelona) als Zielgebiet einer starken Binnenzuwanderung. Der Referent stellte die vorliegende offizielle Studie zur Binnenwanderungsgeschichte von García Barbancho in Frage. Nicht nur habe der Migrationsprozess vor dem Bürgerkrieg angefangen, sondern er sei auch in den 1940er- und ersten 1950er-Jahren weitergegangen. Somit muss die „Migrationsgeschichte der 60er“ früher datiert werden und sie verlief kontinuierlicher als oft angenommen. Die Diktatur, so Marin Corbera, kontrollierte die innere Mobilität der Bevölkerung durch “cédulas” (Personalausweis). Somit gab es in den 1940er- und 1950er-Jahren regelrechte Deportationen von Migranten aus Sabadell. Konsequenzen einer solchen Politik seien Illegalität, Verfolgung durch die Polizei und schlechten Unterkünfte für Migranten gewesen. Seit 1957 wurde schließlich ein Bauministerium eingerichtet und die Faktizität der Binnenwanderungen anerkannt. JULIO A. FERNÁNDEZ GÓMEZ (Centro Municipal de Iniciativas para la Formación y el Empleo, Madrid) konzentrierte sich auf den Fall Villaverde – eine ehemalige Landgemeinde, die im Stadtraum von Madrid massiv industrialisiert wurde. Seit den 1940er-Jahren wurden hier große Unternehmen durch das staatliche Nationale Industrie-Institut und durch private Projekte wie Barreiros begründet. Eine starke und schnelle Konzentration der Bevölkerung kombinierte sich mit fordistischen Arbeitsmethoden und Elendswohnungen. Die spätere Einrichtung von Unternehmerwohnungen sei unzureichend gewesen, sie wurde stark instrumentalisiert und Wohnungen nur bei „gutem Verhalten“ zugeteilt.

Die letzte Sektion widmete sich statistischen Quellen zur Migrationsgeschichte. CÁRMEN RÓDENAS CALATAYUD (Universidad de Alicante) sprach sich dafür aus, frühere Studien über die Migrationsbilanzen durch eine Analyse von Migrationsflows im lokalen sowie regionalen Bereich zu ergänzen und zu korrigieren. Wenn man mit einer solchen Methode vorginge, stelle sich heraus, dass die Binnenwanderungen der spanischen Bevölkerung während der Krisenperiode, zwischen 1973 und den 1980er-Jahren ebenso stark wie in der Aufschwungphase der 1960er-Jahre gewesen seien. Gloria Sanz Lafuente (Universidad Pública de Navarra) setzte zu einem Vergleich zwischen den vorhandenen statistischen Angaben im internationalem Bereich an. Während die Statistiken der OECD deutlich unterschiedliche Angaben nach Herkunftsländern machten, lägen die Zahlen für Spanien viel zu niedrig, da nur die offizielle Auswanderung erfasst wurde. Sanz Lafuente schlug vor, wesentlich tiefer in die vorhandenen Statistiken und Quellen einzudringen, um zu einem realistischeren Bild der Migrationsziffern zu gelangen, beispielsweise in Bezug auf die spanische Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland.

Insgesamt haben die Referate der Tagung zu einer breiten Darstellung der spanischen Migrationsprozesse innerhalb und außerhalb Spaniens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beigetragen. Es handelte sich bei der Veranstaltung um die erste wissenschaftliche Tagung über die spanischen Binnenwanderungen und die Auswanderungsprozesse von den 1940er- bis zu den 1980er-Jahren. Die Zusammenarbeit aus der Sicht der Geschichte, der Soziologie und der Ökonomie bot plurale Perspektiven eines gemeinsamen Forschungsobjektes. Trotz begrifflicher Schwierigkeiten war die Diskussionsatmosphäre auf der Tagung sehr offen. Sie zeigte insbesondere erhebliche Potenziale der verfügbaren Quellen auf, um künftig intensiver nach den Gründen der Migrationsprozesse und nach einem Vergleich der Zielorte sowie -länder zu fragen. Eine Veröffentlichung des Sammelbandes der Tagung ist zu erwarten. Auch die Fortsetzung dieser Arbeit im Zuge internationalisierter Forschung wäre zu begrüßen.

Konferenzübersicht:

Joseba de la Torre/ Gloria Sanz Lafuente: Begrüßung

Sitzung I. Mercado laboral y emigración en la época de la “Golden Age”
Fernando Guirao: Did Spanish migrants benefit from the 1970 bilateral agreement between Spain and the European Economic Community?’
Lorenzo Mechi: Migration, European labour market and the ILO in the Golden Age
Margarita Vilar Rodríguez: El mercado de trabajo como estrategia política del régimen franquista (1936-1975)
Axel Kreienbrink: La lógica económica de la política emigratoria del régimen franquista

Sitzung: II Emigración exterior y mercado de trabajo del Franquismo a la Transición
María José Fernández Vicente : Entre mercados laborales y fronteras estatales. La emigración de trabajadores españoles a Francia (1955-1982)
Carlos Sanz Díaz: Mercado de trabajo, políticas migratorias y prácticas invidivuales. La emigracióin de españoles a Alemania (1955-1982)
Luis M. Calvo Salgado: Experiencias de trabajadores españoles en el mercado laboral suizo (1960-1982)

Sitzung III. Emigración interior: estudios de caso
Martí Marín Corbera : Las migraciones interiores hacia la Cataluña urbana vistas desde Sabadell (Barcelona), 1939-1960
Julio A. Fernández Gómez: Emigración interior e industrialización durante el franquismo: Estudio del caso de Villaverde (Madrid)

Sitzung IV. Balance de la investigación y estadísticas de emigración interior y exterior
Carmen Ródenas Calatayud: Un balance de las fuentes estadísticas sobre migraciones interiores
Gloria Sanz Lafuente: Estadísticas históricas de la emigración exterior. Un balance del Franquismo a la Transición


Redaktion
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